ADOPTION Mangelware Kind

21 July 1962

ADOPTION

Mangelware Kind

22.07.1958, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 30/1958

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Die westdeutschen Jugendämter müssen sich seit kurzem einer höchst verdrießlichen Nebentätigkeit widmen: Sie haben sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, durch allzu enge Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen zum Entstehen eines »grauen Marktes« beigetragen zu haben, auf dem eine nicht alltägliche Ware gehandelt wird, nämlich kleine Kinder.

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Der Vorwurf wurde unlängst von dem Wochenblatt »Overseas Weekly« erhoben, das die in Nato-Europa stationierten Amerikaner über die Weltläufte unterrichtet. »Overseas Weekly« verkündete in zwei fetten Schlagzeilen auf der Titelseite: »Amerikaner umgehen deutsche Gesetze, um Kinder zu adoptieren.«

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Bundesdeutsche Kommunalbeamte, so wußte das Blatt zu berichten, hätten zugegeben, daß auf einem halblegalen »grauen Markt« ungeborene Babies flott gehandelt

werden. »Obwohl die Waisenhäuser mit ungewünschten Kindern überfüllt sind, sehen sich amerikanische Ehepaare gezwungen, die deutschen gesetzlichen Bestimmungen zu umgehen, um Kinder für eine Adoption zu finden.«

Südwestdeutsche Gazetten griffen die spektakuläre Nachricht auf. Die Heidelberger »Rhein-Neckar-Zeitung« schrieb: »'Overseas Weekly' behauptet mit Recht, daß in Deutschland Tausende von Babies über die normal abgewickelten Adoptionsfälle hinaus von amerikanischen Familien 'eingekauft' werden.« Hauptumschlagplatz sei der Kaiserslauterer Vorort Vogelweh. In Vogelweh wohnen 5000 Nato-Amerikaner mit ihren Familien.

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Die Nachricht stimmt insofern, als sich tatsächlich zahlreiche in der Bundesrepublik stationierte Amerikaner ebenso intensiv wie zumeist erfolglos bemühen, bundesdeutsche Säuglinge an Kindes Statt anzunehmen.

Kaiserslauterns Oberbürgermeister Dr. Walter Sommer hat das Phänomen untersucht und nennt drei Ursachen für den speziellen Drang der Amerikaner nach deutschen Kleinkindern, nämlich Sozialgefühl, Tradition und Naivität:

- Nachkriegs-Reportagen amerikanischer Blätter haben den Eindruck erweckt, in Deutschland gebe es Massen unversorgter Kinder;

- amerikanische Familien deutscher Abstammung glauben an die Notwendigkeit einer Auffrischung mit deutschem Blut;

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- nach Meinung vieler US-Bürger werden aus deutschblütigen Kindern besonders tüchtige Amerikaner.

Hinzu kommt - was die Statistik bestätigt -, daß in allen amerikanischen Bevölkerungs-Schichten immer stärker die Tendenz erkennbar wird, den Nachwuchs durch Adoption - und nicht durch eigene Kinder - zu regeln.

Für Amerikaner in Europa gilt das gleiche. Versichert Amtmann Donath, Leiter des Jugendamtes Darmstadt: »Die Anträge sind zu einem so großen Stoß angewachsen, daß wir keine weiteren mehr annehmen können.« Und Amtmann Westenburger, Chef des Jugendamtes Kaiserslautern, konstatiert: »Kinder sind Mangelware. Wir müssen auch unsere Leute, deutsche Eltern, berücksichtigen.«

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Allerdings hat nicht Mangel an Kindern dazu geführt, daß zahlreiche amerikanische Familien ihr deutsches Kind über den »grauen Markt« beziehen, sondern der Perfektionismus deutscher Behörden und Gesetze.

Sobald nämlich ein uneheliches Kind geboren wird - nur um solche geht es -, übernimmt das örtliche Jugendamt kraft Gesetz die sogenannte Amtsvormundschaft. Die Behörde nimmt vor allem die »Vermögensverwaltung« ihres Mündels wahr, kümmert sich also um Beitreibung der Unterhaltszahlungen.

Will eine ledige Mutter ihr Kind adoptieren lassen, so muß sie diese Absicht dem Jugendamt melden, das eine Liste von adoptionswilligen Bewerbern führt. Das Amt versucht - in oft monatelanger Arbeit - zu ermitteln, welches Kind zu welchem Bewerber paßt. Zunächst erhält der Bewerber dann eine widerrufbare Pflegehalte -Erlaubnis. Möglichst lange Zeit beobachtet das Jugendamt nun, ob Kind und Pflegeeltern zusammenpassen. Ergeben sich keine Anstände, so beginnt der nicht minder langwierige und komplizierte Adoptionsvorgang, wie er im Bürgerlichen Gesetzbuch vorgeschrieben ist.

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»Overseas Weekly« offenbarte: »Die Beamten des Jugendamtes (Darmstadt) gaben zu, daß Tausende weiterer Kinder adoptiert werden, ohne den vorgeschriebenen Weg zu durchlaufen.« Die europäischen Nato-Amerikaner haben in der Tat ein System entwickelt, das ebenso simpel wie - für die Kindesmütter - gewinnbringend ist.

Es funktioniert so: Eine amerikanische Familie, die ein deutsches Kind adoptieren möchte, stellt zu diesem Zweck als Hausgehilfin ein Mädchen ein, das der Niederkunft entgegensieht. Die Amerikaner zahlen dem Mädchen einen stattlichen Arbeitslohn, übernehmen alle Entbindungs-Kosten und honorieren auch noch die Wochenbett -Zeit in großzügiger Weise.

Als Gegenleistung »überschreibt« das Mädchen sein Kind dem finanzkräftigen amerikanischen Paar. Mit diesem Schriftstück eilen die Amerikaner zum Jugendamt, denn nun, so kombiniert »Overseas Weekly«-Reporter Dan Ford, »hat die Familie einen ziemlich starken Anspruch« auf das Kind.

Wenn ein amerikanisches Ehepaar mit der »Übereignungserklärung« seiner deutschen »Hausgehilfin« im Jugendamt erscheint, darf es gewiß sein, einige schwierige Hindernisse auf dem Adoptions -Parcours übersprungen zu haben: Es beansprucht ein bestimmtes, von der Mutter ihm zugestandenes Kind; es braucht sich nicht auf die Warteliste setzen zu lassen; es umgeht die Zeit der Pflegehalte-Erlaubnis.

Die Übung der Jugendämter, den Amerikanern das so »gekaufte« Kind nun auch zu belassen, begründet Amtmann Westenburger: »Finanzielle Abfindungen an die Kindesmutter beweisen doch, daß es dem ledigen Mädchen schlecht geht und daß es sein Kind leichten Herzens hergibt, vor allem aber, daß es den Amerikanern mit der Adoption sehr ernst ist.«

Die Prozedur der endgültigen Adoption freilich müssen auch diese Amerikaner durchstehen. Sie dauert mindestens sechs Monate, häufig aber länger als ein Jahr. Dan Ford berichtete in »Overseas Weekly«, ein amerikanischer Hauptmann, der bereits zwei Kinder adoptierte, habe erklärt: »Es wird dafür gesorgt, daß man dauernd auf den Beinen bleibt.«

Westdeutschlands Beamte, so resigniert »Overseas Weekly«, hätten keine Hoffnung, daß die gesetzlichen Bestimmungen für Adoptionen gelockert würden. »Die Kinder machen keine Gesetze. Sie können nur hoffen, daß irgend jemand bereit ist, den Papierkrieg zu umgehen, um ihnen ein Heim zu geben.«

Amerikaner mit deutschen Kindern: Geschäfte mit Ungeborenen