Ein Baby für 5000 Dollar
Ein Baby für 5000 Dollar
Von Sascha Lehnartz 8. Februar 2010, 04:00 Uhr
Das Erdbeben hat Haitis Waisenhäuser verwüstet - Adoptionen stocken, und die Kinder leiden unter dem Chaos
Port-au-Prince - "Foyer d'Espoir" heißt Hort der Hoffnung. Es ist der Name eines Waisenheimes, das knapp 20 Kilometer außerhalb von Port-au-Prince liegt, in Thomassin, einer bergigen Gegend, für die man einen Wagen mit kräftigem Allradantrieb braucht. 23 Kinder zwischen drei Monaten und vier Jahren hat Madame Vital hier unter ihren - wie sagte man früher - "Fittichen". Madame Vital ist, zumindest in Frankreich, keine ganz unbekannte Person. Denn Frankreich ist das Land, das die meisten Kinder aus Haiti adoptiert. Knapp 1000 waren es im vergangenen Jahr. Einige davon kamen auch aus Madame Vitals Foyer.
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Nun hat das Erdbeben die meisten begonnenen Adoptionsverfahren unterbrochen. In Frankreich laufen deshalb designierte Adoptiveltern Sturm, deren Verfahren kurz vor dem Abschluss standen. In manchen Fällen hatten sie die Kinder bereits besucht, auf den Papieren fehlte ein letzter richterlicher Stempel. Die Gerichtsgebäude in Port-au-Prince sind zerstört, und niemand weiß, wie es weitergehen soll. Zugleich machen Horrorgeschichten die Runde. Vor gut einer Woche verhaftete eine offenbar gut informierte Spezialeinheit der haitianischen Polizei eine Gruppe von zehn religiösen Eiferern aus Amerika an der Grenze zur Dominikanischen Republik beim Versuch, 33 Kinder über die Grenze zu bringen. Die Amerikaner behaupteten, die Kinder retten zu wollen. Die Polizei vermutet Kinderhandel. Der Premierminister Jean-Max Bellerive persönlich verstärkte die Ängste, indem er in einem CNN-Interview über Fälle von Kinder- und von Organhandel sprach, die ihm zu Ohren gekommen seien. Doch wie fast alle, die sich in diesem Gebiet tummeln, konnte auch Bellerive wenig Konkretes erzählen. Am Sonntag lieferte dann die "New York Times" einen faktendürren Artikel, der sich eher aus der Sorge der Autorin denn aus Erkenntnissen speiste. Unter anderem fiel der Reporterin auf, dass Kinder in haitianischen Waisenhäusern "zu große, zu kleine oder gar keine Kleider tragen". Das ist eine korrekte Beobachtung, trifft aber in einem bitterarmen tropischen Land ungefähr auf 90 Prozent der Kinder zu.
Wer sich mit Kinderhandel und erst recht mit Organhandel in Haiti befasst, betritt das Reich der Spekulation. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. "Wenn ein Land in Unordnung ist, steigt das Risiko für Kinderhandel automatisch", sagt Caroline Bakker. Die Holländerin ist die Kinderschutzbeauftragte von Unicef für die Karibikregion. "Es gibt Berichte über verschwundene Kinder, über Entführungen aus Krankenhäusern. Wir haben also Indizien, aber mehr nicht", sagt Bakker, die sichtlich um eine nüchterne Einschätzung der Lage bemüht ist. Natürlich sei die Grenze zur Dominikanischen Republik leicht zu überqueren. Sie ist nur schwach gesichert. Das Grenzgebiet ist ein großer Basar, über den auch Kinder ungehindert toben. "Das Problem am Kinderhandel ist, dass er meistens halb verdeckt stattfindet. Die Kinder gehen über die Grenze, weil man ihnen irgendetwas versprochen hat. Dass es um Kinderarbeit oder Prostitution geht, stellen sie erst am Ende ihrer Reise fest", sagt Bakker.
Rund 50 000 Waisenkinder gab es in Haiti vor dem Erdbeben. Wie stark die Zahl nun angestiegen ist, weiß noch niemand genau. Madame Vital hat seit dem Beben noch keine Neuankömmlinge begrüßen müssen. Bis zum Beben waren ihre Kinder in einem Hort untergebracht, der einige Kilometer von ihrem Wohnhaus entfernt liegt. Das Beben überstanden die Kinder beinahe ohne Schramme. Nur ein kleiner Junge lag unter einem umgestürzten Arzneischrank, wurde aber rasch geborgen und kam mit ein paar Beulen davon. Doch das Gebäude hat nun Risse. Madame Vital hat die Kinder bei sich zu Hause untergebracht, in einem für haitianische Verhältnisse großen Haus. An den Wänden blüht der Schimmel. Das ist hier nichts Ungewöhnliches. 23 Kinder füllen auch ein großes Haus rasch. Im Hof und im Garten schlafen sie in Zelten. "Wir suchen dringend neue Räume, aber momentan suchen alle nach Häusern", sagt Madame Vital. Seit beinahe 20 Jahren betreibt sie ihr Waisenhaus, im Gegensatz zu vielen anderen in Haiti ist ihres staatlich registriert. Madame Vital lebt davon, dass ihre Kinder adoptiert werden. 5000 Dollar erhält sie pro Kind, direkt von den Eltern. Der Adoptionsprozess sei inzwischen viel komplizierter geworden, sagt sie. Zuvor seien die Kinder maximal ein Jahr bei ihr geblieben, nun dauere das Verfahren oft drei bis vier Jahre. Sie brauche die Einwilligung der biologischen Eltern, eine Bestätigung vom Sozialministerium, die Adoptiveltern würden vor Gericht gehört. Gut für die Kinder, glaubt sie, sei die lange Wartezeit nicht. Ein Waisenhaus, sei nun einmal keine Familie.
Madame Vitals Kinder, die während unseres Gesprächs ziemlich brav an kleinen Kinderplastiktischen im Foyer d'Espoir sitzen, scheinen sich zumindest in ihrem Ersatzfamilienverbund nicht unwohl zu fühlen. Immer wieder schauen sie auf ihre Reserve-Maman, die einschreitet, sobald Disziplinlosigkeit aufscheint. "Du darfst deinen Nächsten nicht schlagen", ermahnt sie einen Jungen, der seinen Tischnachbarn bedrängt. Der Schläger gehorcht prompt. Madame Vitals Adoptiveltern kommen überwiegend aus Frankreich und Kanada. Die Kinder, die sie aufnimmt, sind zum Teil Waisenkinder, zum Teil sind es aber auch die Eltern selbst, die ihre Kinder zur Adoption freigeben, weil sie sie nicht mehr ernähren können.
Wie die Adoptionsverfahren nun weitergehen, ist offen. "Ich habe gehört, dass es ein Moratorium auf alle Verfahren gibt", sagt Madame Vital. Ungeduldige Paare besprechen täglich ihren Anrufbeantworter. Madame sorgt sich derweil um die Versorgung. Es gibt kein fließendes Wasser, einen Tanklaster auf den Berg zu bestellen kostet aber derzeit 1000 Dollar. Die Preise für Windeln haben sich auch verdreifacht. Madame Vital hält in der Regel sowohl mit den leiblichen wie mit den neuen Eltern Kontakt. Diese schicken ihr Fotos, die sie an jene weiterreicht. Nur manchmal hat sie Ärger mit den leiblichen Eltern. Das geschehe, wenn die Adoptiveltern sich nicht mehr meldeten und die leiblichen Eltern nicht erführen, wie es ihren Kindern ergehe. Sie schreien dann manchmal am Telefon: "Wir haben dir unser Kind nicht verkauft!"